Der ‚Ärztefall‘ und der Tod Stalins

Teil 2 (1953 bis 1956)

Bill Bland, 1991

Deutsche Übersetzung: Gerhard Schnehen, 2014

Das englische Original findet sich hier:  http://ml-review.ca/aml/BLAND/DOCTORS_Case_FINAL.htm

Der fehlgeschlagene Putsch, 1953

Wie bereits festgestellt, befanden sich die Sicherheitskräfte in den Jahren vor Stalins Tod schon unter der Kontrolle getarnter Revisionisten und nicht mehr unter der der Marxisten-Leninisten:

„Vor Stalins Tod befanden sich die Ministerien für Staatssicherheit und Inneres nicht unter Berijas Kontrolle.“

(R. Conquest 1961, S. 200).

Es ist nur allzu natürlich, dass bei einer Neuaufteilung der Verantwortlichkeiten nach Stalins Tod es für die revisionistischen Verschwörer von großer Bedeutung war, dass die Kontrolle über die Sicherheitskräfte nicht erneut in die Hände von Marxisten-Leninisten fiel.

Chruschtschow berichtete von einem Gespräch mit seinem revisionistischen Mitstreiter Nikolai Bulganin an Stalins Totenbett über die Gefahren für ihr Vorhaben, falls der Marxist-Leninist Lawrenti Berija erneut Minister für die Sicherheitsdienste werden sollte:

„ ‚Stalin wird nicht durchkommen … Was meinst du: Welchen Posten wird sich Berija sichern?‘ -‚Welchen denn?‘ - ‚Er wird versuchen, sich zum Minister für die Sicherheitsdienste zu machen. Egal, was passiert - damit darf er nicht durchkommen. Wenn er Minister für Sicherheit wird, ist das für uns der Anfang vom Ende.“

(N. Chruschtschow 1971, S. 319).

Wie wir gesehen haben, starb Stalin am 5. März 1953, abends um 21.50 Uhr. Sofort nutzten die Verschwörer ihre Kontrolle über die Sicherheitskräfte, um einen Putsch vorzubereiten. Der US-amerikanische Journalist Harrison Salisbury war Augenzeuge, als kurz vor 6 Uhr am nächsten Morgen

„Kolonnen von Lastwagen sich still und leise in die Stadt bewegten. Es waren Einheiten von MWD-Truppen mit ihren blau-roten Kappen - die Spezialeinheiten des Ministeriums für Innere Angelegenheiten – immer 21 Mann in einem Fahrzeug saßen mit übergeschlagenen Beinen auf hölzernen Bänken in ihren grün angestrichenen Lastwagen … Mir kam der Gedanke, dass ein Putsch kurz bevorstehen könnte … Etwa um 9 Uhr … waren die Einheiten des MWD überall im Stadtzentrum … In der oberen Gorkistraße tauchten Panzerkolonnen auf … Sämtliche Truppen und Panzer gehörten zur Spezialeinheit des MWD. Man konnte nicht eine einzige Einheit regulärer Streitkräfte ausmachen … Später erkannte ich, dass das MWD fast die gesamte Innenstadt von Moskau abgeriegelt hatte … Gegen zehn oder elf Uhr am Morgen des 6. März war niemand mehr in der Lage, ohne Erlaubnis des MWD den Stadtkern von Moskau zu verlassen …

Die MWD-Einheiten hatten die Stadt erobert … Konnten irgendwelche anderen Truppen in die Stadt gelangen? Nur, wenn sie die Erlaubnis des MWD besaßen oder bereit waren, sich Straße für Straße, Barrikade für Barrikade durchzukämpfen.“

(H. Salisbury, ebd., S. 163f, 166, 171, 173).

Robert Conquest beschreibt die Situation ähnlich:

„Die Straßen von Moskau waren vollgestopft mit MWD-Truppen, als Stalins Tod bekanntgegeben wurde.“

(R. Conquest 1961, S. 200).

„Noch bevor Stalins Körper erkaltet war, … hatten Sicherheitskräfte … nicht nur Kontrollpunkte eingerichtet und den Verkehr, einschließlich des Fußgängerverkehrs, an jeder wichtigen Durchgangsstraße zum Erliegen gebracht, sondern hatten auch den Kreml umzingelt.“

(P. Deriabin, ebd., S. 328).

Die Marxisten-Leninisten schafften es jedoch zumindest vorübergehend, den geplanten Putsch dadurch zu vereiteln, dass es ihnen gelang, genügend Anhänger zu mobilisieren, damit am folgenden Tag, den 7. März, eine gemeinsame Dringlichkeitssitzung des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei, des Ministerrats sowie des Obersten Sowjet der UdSSR einberufen werden musste. Angesichts dieser Entwicklung riskierten die revisionistischen Verschwörer zunächst einmal nichts und hielten es für den Moment für zweckmäßig, ihren geplanten Putsch zu verschieben und der Wahl Berijas zum Minister für Staatssicherheit, die unter den Parteiführern eine Mehrheit gefunden hatten, keinen Widerstand mehr entgegenzusetzen. Chruschtschow dazu später:

„Sofort schlug Berija Malenkow zum Vorsitzenden des Ministerrates (Ministerpräsident – Verf.) vor. Daraufhin schlug Malenkow sofort Berija zum Ersten Stellvertreter vor. Er regte auch den Zusammenschluss des Ministeriums für Staatssicherheit mit dem für Innere Angelegenheiten zu einem einheitlichen Ministerium für Inneres an, mit Berija als Minister … Ich sagte nichts … Auch Bulganin schwieg. Ich erkannte, welche Einstellung die anderen hatten. Wenn wir uns dagegen gestellt hätten, hätte man uns vorgeworfen, in der Partei einen Konflikt vom Zaun gebrochen zu haben, bevor der Leichnam erkaltet war.“

(N. S. Chruschtschow 1961, S. 324).

Die Entlastung der Ärzte

Nach Stalins Tod bestand für die revisionistischen Verschwörer die sofortige und dringliche Aufgabe darin, die Ärzte freizusprechen - natürlich nicht, weil sie unschuldig waren, sondern im Gegenteil, weil sie schuldig waren und weil weitere Nachforschungen in der Angelegenheit auch zur Entlarvung der hochrangigen Drahtzieher der Verschwörung führen konnten.

Um die Marxisten-Leninisten und die sowjetische Öffentlichkeit über die wahren Motive für die Entlastung der Ärzte zu täuschen, wurde dieser Schritt als Teil einer umfassenderen Berichtigungsaktion hingestellt, um angeblich ‚Justizirrtümer‘ zu korrigieren. Der Fall der Ärzte wurde mit dem georgischen Täuschungsmanöver von 1951/52 in Verbindung gebracht, das sie selbst inszeniert hatten, und dieser echte Fall von Willkürjustiz sollte jetzt zusammen mit dem Fall der Ärzte berichtigt werden.

Die Entscheidung, die Ärzte zu entlasten, wurde im März 1953 nur wenige Tage nach Stalins Tod getroffen, als der Name eines der beschuldigten Ärzte, von Boris Preobraschenski, in der Ausgabe der Zeitschrift ‚Westnik‘ (Bote), die am 31. März 1953 erschien, unter der Überschrift ‚Hals-Nasen-Ohrenheilkunde‘, wieder genannt wurde (vgl. R. Conquest 1961, S. 206).

Am 3. April 1953 brachte die sowjetische Presse ein sensationelles Kommuniqué heraus, das im Namen des Ministeriums für Innere Angelegenheiten der UdSSR veröffentlicht wurde und die Entlastung der inhaftierten Ärzte sowie ihre Entlassung aus der Untersuchungshaft bekanntgab:

„Das Ministerium für Innere Angelegenheiten der UdSSR hat eine gründliche Untersuchung sämtlicher Ermittlungsergebnisse aus vorangegangenen Untersuchungen sowie aus anderen Unterlagen im Fall der Ärztegruppe, die der Sabotage, der Spionage und terroristischer Anschläge gegen amtierende Funktionäre des sowjetischen Staates beschuldigt waren, durchgeführt.

Die Ermittlungen haben ergeben, dass die in diesem Fall Beschuldigten … vom Ministerium für Staatssicherheit zu Unrecht und ohne gesetzliche Grundlage verhaftet wurden …

Die … in diesem Fall Beschuldigten sind von den gegen sie erhobenen Vorwürfen entlastet und … aus der Haft entlassen worden.“

(Kommuniqué des Ministeriums für Innere Angelegenheiten der UdSSR, in: ‚Prawda‘ und ‚Iswestija‘, 3. April 1953, S. 4, in: ‚Aktueller Überblick über die sowjetische Presse‘, Band 5, Nr. 10, 18. April 1953, S. 3).

Das Kommuniqué versuchte, die Geständnisse der beschuldigten Ärzte dadurch zu erklären, dass es durchblicken ließ, dass sie durch Anwendung von Folter erzwungen worden seien:

„Die Aussagen der Inhaftierten, welche angeblich die gegen sie erhobenen Beschuldigungen bestätigten, waren von den Beamten der Ermittlungsabteilung des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit durch Anwendung von nach sowjetischem Recht unzulässigen Methoden herbeigeführt worden … Diejenigen Personen, die der fehlerhaften Durchführung von Untersuchungen beschuldigt werden, sind verhaftet worden und werden strafrechtlich zur Verantwortung gezogen.“

(Kommuniqué, ebd., ).

Noch am gleichen Tag berichtete die Presse, dass

„ … das Präsidium des Obersten Sowjet der UdSSR beschlossen hat, den Erlass vom 20. Januar 1953 wieder aufzuheben, wonach Dr. Lydia Timaschuk der Leninorden verliehen wurde. Die Auszeichnung ist in Verbindung mit neuen Erkenntnissen, die seitdem erbracht worden sind, für ungültig erklärt worden.“

(Beschluss des Obersten Sowjet der UdSSR, in: Y. Rapoport, ebd., S. 188).

Dr. Timaschuk wurde jedoch nicht wegen versuchter Täuschung der Justizorgane strafrechtlich verfolgt und nahm schon kurz nach den April-Ereignissen ihren Dienst im Kremlkrankenhaus wieder auf, und erschien anscheinend völlig gelassen wieder in ihrem Büro (vgl. Y. Rapoport, ebd., S. 191f).

Die Rückgängigmachung der georgischen Säuberung durch Berija

Wie wir gesehen haben, gewannen die Marxisten-Leninisten durch die Umbildung der Regierung vom 7. März, die auf den Tod Stalins erfolgte, zeitweilig erneut die Kontrolle über die staatlichen Sicherheitsorgane:

„Am Tag nach Stalins Tod … erlangte Berija erneut die Kontrolle über die staatlichen Sicherheitsorgane, die ihm in Stalins letzten Jahren nach und nach entrissen worden war.“

(Ulam, A. B., ebd., S. 540).

Im April machte Berija dann die Säuberung in Georgien wieder rückgängig (vgl. C. H. Fairbanks jr, ebd., S. 163). Am 14. April entließ das ZK der Georgischen Kommunistischen Partei Akadi Mgeladse als Ersten Sekretär. Er musste zugeben, dass die Vorwürfe ‚nationalistischer Abweichungen‘, die er gegen die ehemaligen marxistisch-leninistischen Parteifunktionäre erhoben hatte, frei erfunden waren:

„Berija handelte ohne zu zögern … Ein Plenum der Georgischen Kommunistischen Partei wurde am 14. April 1953 abgehalten, das das von A. L. Mgeladse geführte Parteisekretariat entließ und ein neues unter der Leitung eines Parteifunktionärs namens Mirtskulawa einsetzte. Berijas alter Schützling Walerian Bakradse, den Mgeladse seines Amtes enthoben hatte, wurde jetzt zum Ministerpräsidenten der Georgischen Republik ernannt.

Einige prominente Anhänger Berijas, die von Mgeladse und seiner Fraktion inhaftiert worden waren, wurden wieder freigelassen und erhielten Funktionen in der Regierung Bakradse. Der entfernte Erste Sekretär Mgeladse legte ein weiteres Geständnis ab und erklärte, dass die Beschuldigung nationalistischer Abweichungen, die er gegen hochrangige georgische Bolschewiki erhoben hatte, auf falschen Voraussetzungen beruhten … N. Rukhadse, der georgische Minister für staatliche Sicherheit, der Mgeladse Beistand gehalten hatte, wurde verhaftet.“

(D. M. Lang, ebd., S. 263).

Am 15. April

„ … gab der Ministerpräsident der Georgischen Sowjetrepublik M. W. Bakradse bekannt, … dass der georgische Minister für Staatssicherheit, M. Rukhadse, sowie zwei ehemalige Generalsekretäre der Georgischen Kommunistischen Partei, nämlich Mgeladse und Tscharkwiani, ihrer Ämter enthoben und verhaftet worden seien und wegen der Erfindung falscher Anschuldigungen gegen ehemalige Mitglieder der georgischen Regierung und der Kommunistischen Partei ‚streng bestraft‘ werden würden … Gleichzeitig erklärte er, dass drei ehemalige Minister, die auf Betreiben Rukhadses entlassen worden waren, ab sofort wieder ihre alten Ämter zurückerhalten würden; dass die Ministerien für Innere Sicherheit und Staatssicherheit zu einem einheitlichen Ministerium zusammengelegt werden würden und dass dieses Ministerium M. W. Dekanosow leiten werde.“

M. Bakradse, der eine Ansprache aus Anlass einer Sitzung des Obersten Sowjet Georgiens hielt, sagte, dass …einige unschuldige Personen Opfer grundloser Beschuldigungen (‚bürgerlicher Nationalismus‘) geworden seien.“

(Keesing’s Contemporary Archives, Band 9, S. 13.029).

Am 16. April brachte die ‚Saria Wostoka’ eine Rede von Bakradse, in der er Folgendes ausführte:

„Die zuständigen Organe haben inzwischen eindeutig festgestellt, dass … der Feind des Volkes und der Partei, der ehemalige Minister für Staatssicherheit …, N. M. Rukhadse, eine frei erfundene und provokatorische Affäre bezüglich eines nicht existierenden Nationalismus, deren Opfer hervorragende Arbeiter unserer Republik waren, … erfunden hatte. Rukhadse und seine Komplizen sind verhaftet worden und werden streng bestraft.“

(‚Saria Wostoka‘, 16. April 1953, in: R. Conquest 1961, S. 145).

Am 21. April wurde der aus dem Gefängnis entlassene Wilian Sodelawa zum Ersten Stellvertretenden Ministerpräsidenten ernannt und in das Büro des Zentralkomitees der Georgischen Kommunistischen Partei gewählt.

Der Militärputsch in Moskau, 1953

Ende Juni 1953 hatte sich gezeigt, dass die Bemühungen, die Marxisten-Leninisten davon zu überzeugen, dass die Entlastung der Ärzte gerechtfertigt war, nur zeitweilig von Erfolg gekrönt waren. Unter der Leitung von Berija setzten die Sicherheitskräfte, die sich nach der Umbildung der Geschäftsbereiche nach Stalins Tod wieder unter marxistisch-leninistischer Kontrolle befanden, ihre Ermittlungen in Sachen ‚Ärztefall‘ fort.

Wenn sich die revisionistischen Verschwörer tatsächlich in Sicherheit wiegen wollten, war es dringend geboten, Berija und seine Genossen in den Sicherheitsorganen auszuschalten.

Am 10. Juli, ein paar Tage, nachdem Berija verhaftet (oder schon ermordet worden war, so Berijas Sohn Sergo in seinen Erinnerungen ‚Beria, My Father‘ - Übers.), enthüllte die ‚Prawda‘ in ihrem Leitartikel den wahren Grund seiner Verhaftung - ein Grund, der jedoch nicht mehr in dem Bericht zu seinem ‚Prozess‘ genannt werden sollte - dass er nämlich ‚vorsätzlich‘ Anweisungen des ZK und der Sowjetregierung, die darauf abzielten, ‚bestimmte ungesetzliche und willkürliche Handlungen aufzuklären‘ - eine eindeutige Anspielung auf den Ärztefall – ‚unterlaufen‘ und den Versuch unternommen habe, diese zu ‚entstellen‘. In der ‚Prawda‘ hieß es dazu im Einzelnen:

„Obwohl er damit beauftragt war, die Anweisungen des Zentralkomitees der Partei und der Sowjetregierung im Hinblick auf … die Aufklärung bestimmter ungesetzlicher und willkürlicher Handlungen auszuführen, unterließ Berija vorsätzlich die Umsetzung dieser Anweisungen und versuchte in einer Reihe von Fällen, diese zu entstellen.“

(‚Prawda‘, 10. Juli 1953, in: B. Nikolajewski, ebd., S. 147).

Ende Juni 1953 kontaktierten die revisionistischen Verschwörer über mehrere Tage andere führende Mitglieder des Politbüros und konfrontierten sie mit der erfundenen Geschichte, dass Berija ein ‚Agent imperialistischer Mächte‘ sei und ‚einen Putsch gegen die Partei‘ im Schilde führe.

Chruschtschow beschrieb später, wie er seine Anschuldigungen auf unbewiesene Behauptungen, die auf einem Plenum des ZK im Februar 1937 von Grigori Kaminski aufgestellt worden waren, stützte, denen zufolge Berija ‚ein Agent der konterrevolutionären Mussawat-Partei‘ gewesen sei.

Die Mussawat-Partei war eine

„ … nationalistische Partei der Bourgeoisie und der Grundbesitzer in Aserbaidschan, die 1912 gegründet wurde und die von den türkischen und später von den britischen Eindringlingen unterstützt wurde.“

(Anmerkung in: J. W. Stalin, ‚Werke‘, Band 5, Moskau 1953, S. 417, engl. Ausgabe).

Chruschtschow:

„Im Jahre 1937 behauptete der ehemalige Volkskommissar für Gesundheitsschutz, Kaminski, auf einem Plenum des ZK, dass Berija für den Geheimdienst der Mussawatisten gearbeitet habe.“

(N. S. Chruschtschow 1971, S. 65).

Chruschtschow musste aber selbst einräumen, dass diese Behauptungen nie bewiesen wurden:

„Ich konnte mir zwar gut vorstellen, dass er (Berija - Verf.) ein Agent der Mussawatisten war, wie von Kaminski behauptet wurde. Seine Anschuldigungen sind aber nie bewiesen worden … Wir waren auf unsere Vermutungen angewiesen …“

(Ebd., S. 333).

Chruschtschow unternahm auch den Versuch, Georgi Malenkow und Wjatscheslaw Molotow für seine Intrige, Berija für eine Untersuchung festzunehmen zu gewinnen. Chruschtschow:

„Ich nahm Malenkow zur Seite und sagte zu ihm: ‚Aber du musst doch sehen, dass Berijas Haltung gegen die Partei gerichtet ist. Wir dürfen nicht zulassen, was er vorhat …‘ Schließlich willigte Malenkow ein. Ich war überrascht und erleichtert … Genosse Malenkow und ich kamen überein, dass wir mit dem Genossen Molotow sprechen sollten … Ich erzählte Molotow, was für eine Art von Person Berija in Wirklichkeit ist und welche Gefahr uns drohen würde, wenn wir seine Intrigen gegen die Parteiführung nicht verhindern würden. Ich hatte ihm schon früher erzählt, wie Berija seine Pläne, die nationalen Spannungen in den Republiken anzufachen, in die Tat umsetzte …

Er sagte: ‚Du meinst, wir sollten ihn für eine Untersuchung festnehmen?‘ - Ich sagte: ‚Festsetzen - nicht festnehmen, weil es ja noch keine strafrechtlich relevanten Anschuldigungen gegen Berija gibt.‘ … Molotow und ich waren uns einig und trennten uns.“

(Ebd., S. 330f).

Später beschrieb er auch, wie es ihm gelang, auch Lasar Kaganowitsch für sich zu gewinnen:

„Ich sagte, dass Malenkow, Bulganin, Saburow und ich der gleichen Meinung sind und dass wir ohne ihn eine Mehrheit hätten. Kaganowitsch erklärte sofort: ‚Ich stehe auf Eurer Seite!‘“

(Ebd., S. 334).

Da jedoch die Sicherheitskräfte noch von den Marxisten-Leninisten kontrolliert wurden, konnte man sich nicht auf sie verlassen, die Aufgabe der Liquidierung Berijas und seiner Genossen auszuführen. Deshalb kamen die Verschwörer überein, den Putsch von der Armee ausführen zu lassen. Chruschtschow umschreibt seine Zweifel so:

„Die Spitze der Sicherheitskräfte gehorchte ihm (Berija – Verf.) … Deshalb beschlossen wir, die Hilfe der Militärs in Anspruch zu nehmen.“

(Ebd., S. 335f).

J. Ducoli bestätigt:

„Die Armee beteiligte sich an Berijas Verhaftung.“

(J. Ducoli, ebd., S. 58).

Chruschtschow schildert dann, wie sie die Ausführung des Putsches einer Gruppe von rechten Offizieren anvertrauten, zu der auch Kirill Moskalenko und Georgi Schukow gehörten:

„Zunächst übertrugen wir die Aufgabe der Verhaftung Berijas an den Genossen Moskalenko, den Kommandeur der Luftverteidigung sowie an fünf weitere Generäle. Das war meine Idee. Dann -gegen Ende der Sitzung - erweiterte Malenkow unseren Kreis durch die Hinzuziehung von Marschall Schukow und noch einige andere. Das waren insgesamt elf Marschälle und Generäle.

In jenen Tagen waren sämtliche Militärs beim Eintreten in den Kreml angehalten, ihre Waffen vorzuzeigen. Wir beauftragten den Genossen Bulganin damit, darauf zu achten, dass die Generäle ihre Waffen mitnehmen durften. Wir vereinbarten, dass Moskalenkos Gruppe in einem anderen Raum auf Abruf bereit sein sollte, während die Sitzung stattfand. Auf ein Zeichen von Malenkow hin sollten sie den Raum betreten, in dem wir unsere Sitzung hatten und Berija festnehmen.“

(N. S. Chruschtschow 1971, S. 335f).

Der Putsch sollte während einer gemeinsamen Sitzung des Präsidiums des ZK der Partei und des Präsidiums des Ministerrates am 24. Juni 1953 stattfinden. Auf dieser Sitzung soll Chruschtschow die Anwesenden - darunter die gutgläubigen Marxisten-Leninisten – an die von Kaminski 1937 erhobenen Vorwürfe erinnert haben. Chruschtschow weiter:

„Ich erinnerte an das Plenum des ZK vom Februar 1937, auf dem der Genosse Grischa Kaminski Berija beschuldigt hatte, für den konterrevolutionären Geheimdienst der Mussawatisten gearbeitet zu haben und damit auch für den englischen Geheimdienst, als er Sekretär der Bakuer Parteiorganisation war.“

(Ebd., S. 339).

Schließlich will Chruschtschow selbst den Antrag gestellt haben, Berija aus allen Ämtern zu entfernen:

„Nach der letzten Rede hing die Sitzung in der Schwebe. Es entstand eine lange Pause. Ich erkannte, dass wir uns in der Klemme befanden. Ich forderte den Genossen Malenkow auf, das Wort zu ergreifen, um den Antrag zu stellen. Wie wir im Voraus vereinbart hatten, schlug ich vor, dass das Präsidium Berija aller Ämter entheben sollte …Malenkow befand sich immer noch in einem Zustand der Panik. Wie ich mich erinnere, stellte er nicht einmal meinen Antrag zur Abstimmung. Er drückte einen geheimen Knopf, der den Generälen, die im Nebenzimmer warteten, das Signal gab. Schukow traf als erster ein, dann Moskalenko und die anderen. Malenkow sagte mit schwacher Stimme zum Genossen Schukow: ‚Als Vorsitzender des Ministerrates der UdSSR fordere ich Sie auf, dass Sie Berija so lange in Gewahrsam nehmen, bis die gegen ihn erhobenen Vorwürfe geklärt sind.‘

‚Hände hoch!‘, befahl Schukow Berija. Moskalenko und die anderen knöpften ihre Pistolentaschen auf für den Fall, dass Berija irgendetwas unternehmen sollte … Wir sahen später nach und stellten fest, dass er keine Waffe bei sich trug … Berija wurde sofort ins Gebäude des Ministerrates, gleich neben Moskalenkos Büro, gebracht und dort unter Bewachung gestellt … in Einzelhaft.“

(Ebd., S. 337f).

[Anmerkung des Übersetzers: Berijas Sohn Sergo, der nach dem Putsch gegen seinen Vater inhaftiert wurde und den Namen Berija ablegen musste, schreibt in seinen Erinnerungen:

„Viele Jahre später bat Schukow mich zu sehen. Schukow: ‚Ich habe mich weder direkt noch indirekt an der Verhaftung deines Vaters beteiligt. Wenn er noch leben würde, stünde ich heute an seiner Seite. Ich möchte, dass du das weißt. Glaubst du wirklich, dass ich mit den Drecksäcken zusammengearbeitet habe? Wenn er damals, zur Zeit des Juni-Plenums, noch gelebt hätte, hätte sich die Mehrheit der Delegierten ihm angeschlossen.‘ …Was Malenkow betrifft, so verriet er meinen Vater nicht. Als er ermordet worden war, stand er vor vollendeten Tatsachen …Mein Vater wurde bei uns zu Hause erschossen. Sie brachten ihn dort um und brauchten dann zehn Tage, um das Plenum zusammenzurufen, so dass jeder merken konnte, dass er inzwischen tot war.“

(Sergo Berija, ‚Berija, mein Vater‘, London 2001, S. 269ff).

Sergo Berija schreibt auch, dass es

„ … mindestens sechs verschiedene Versionen von der Verhaftung und dem Tod meines Vaters gibt. Chruschtschow selbst lieferte mehrere solcher Varianten.“

(Sergo Berija, ebd., S. 269).

Sergo Berija zitiert A. I. Mirtskhulawa, den einstigen Sekretär des georgischen Komsomol und späteren Ersten Sekretär der Georgischen Kommunistischen Partei in Bezug auf den ‚Prozess‘, den sein Vater angeblich im Dezember erhielt:

„Es war ein Doppelgänger, den sie anstelle von Berija vor Gericht stellten … Sie waren gezwungen, einen Prozess zu erfinden, weil es im Ausland besorgte Reaktionen gab. Chruschtschow konnte nie seinen Mund halten, egal wo er war. Er gab zu, dass der Prozess eine vollständige Farce gewesen sei. Ich bekam mit, wie er sagte: ‚Wenn wir ihn am Leben gelassen hätten, wäre er in der Lage gewesen, so ziemlich jeden für sich einzuspannen, abzuhauen und uns alle erschießen zu lassen. Deshalb haben wir ihn sofort, nachdem wir ihn festgenommen hatten, erschossen.“

Berijas Sohn weiter:

„Der Prozess war nötig, weil er Chruschtschow eine Waffe in die Hand gab, die er gegen seine Rivalen im Kampf um die Macht benutzen konnte.“

Sergo Berija muss aber einräumen, dass

„die Berija-Affäre immer noch weithin ein Tabu-Thema ist und das Mysterium, das sie nach wie vor umgibt, aufzuklären bleibt.“

Ebd., S. 370, Anmerkung 15 zum 12. Kapitel. Zum ‚Prozess‘ gegen Berija mehr weiter unten.]

Aus Chruschtschows Erzählungen ergibt sich, dass er die treibende Kraft des Komplotts gegen Berija war. Dazu Strobe Talbott (Herausgeber der Erinnerungen Chruschtschows):

„Chruschtschows indirekte Behauptung, dass er die treibende Kraft des Komplotts gegen Berija gewesen sei, ist zweifellos im Wesentlichen zutreffend.“

(S. Talbott, Anmerkung zu: N. S. Chruschtschow 1971, S. 321).

Die Entfernung Berijas aus sämtlichen Ämtern wurde am 26. Juni vom Präsidium des Obersten Sowjet der UdSSR bestätigt. Berija wurde als Minister für Innere Angelegenheiten von dem Revisionisten Sergej Kruglow abgelöst, der das Amt vor der Regierungsumbildung nach Stalins Tod innegehabt hatte (‚Prawda‘, 17. Dezember 1953, in: R. Conquest 1961, S. 440).

Bevor die Entlassung öffentlich gemacht wurde, ergriffen die Verschwörer alle erdenklichen Vorsichtsmaßnahmen, um jeden Widerstand von Seiten jener, die scharfsinnig genug waren zu durchschauen, was dies bedeutete, im Keim zu ersticken:

„In der Nacht des 26. Juni 1953 bewegten sich Panzer der Roten Armee der Kantemirowskaja-Division auf Moskau zu und bezogen in etwa die gleichen Positionen wie … im März. Außerdem wurden sie von Infanterieeinheiten aus dem weißrussischen Militärdistrikt verstärkt.“

(P.Deriabin, ebd., S. 332).

Am 10. Juli wurde offiziell bekanntgegeben:

„ … dass Herr Lawrenti Berija, Erster Stellvertretender Vorsitzende und Minister für Innere Angelegenheiten, aus der Kommunistischen Partei ausgeschlossen und als ‚Volksfeind‘ aus seinen Ministerämtern entfernt worden ist.“

(Keesing’s Contemporary Archives, Band 9, S. 13.029).

Drei Jahre später sollte Chruschtschow vor dem 20. Parteitag der KPdSU in seiner Geheimrede behaupten, dass Stalin den Begriff ‚Volksfeind‘ erfunden habe:

„ … Diese Bezeichnung ermöglichte die Anwendung der brutalsten Unterdrückungsmaßnahmen und verletzte sämtliche Normen revolutionärer Gesetzlichkeit.“

(N. S. Chruschtschow 1956, S. 12).

In den ersten Juliwochen wurden auch andere prominente Marxisten-Leninisten, die für die Sicherheitsorgane gearbeitet hatten, verhaftet und mit in den Abgrund gerissen:

„Berija fiel und riss viele hohe Funktionäre …, deren Vertrautheit mit Staatsgeheimnissen für die Sieger ein Risiko bedeutete, mit in den Abgrund.“

(D. M. Lang, ebd., S. 264).

Zu jenen, die mit Berija zusammen verhaftet wurden, gehörten Wladimir Dekanosow (unter Stalin Botschafter der UdSSR in Berlin und später, bis 1947, stellvertretender Außenminister – Übers.), Wsewolod Merkulow, Bogdan Kobulow (hatte im NKWD die Jeschowschina aufgearbeitet und war an Vernehmungen der Jeschow-Leute beteiligt - Übers.), Sergej Golidse, Pavel Meschik und Lew Wlodsimirski - alles durchweg Marxisten-Leninisten, die in enger Verbindung mit den staatlichen Sicherheitsorganen gestanden hatten.

Der Militärputsch in Georgien, 1953/54

Kurz nach Berijas Ausschaltung inszenierten die revisionistischen Verschwörer am 14. Juli 1953 in Georgien einen Militärputsch, um die Veränderungen, welche im April 1953 stattgefunden hatten, wieder rückgängig zu machen und um die Lage wieder herzustellen, die zuvor existiert hatte, nämlich die revisionistische Vorherrschaft nach dem Scheinmanöver von 1951/52. Die Anführer des Putsches, der anlässlich einer gemeinsamen Sitzung des ZK der Kommunistischen Partei Georgiens und des Stadtkomitees von Tiflis inszeniert wurde, waren zwei hohe Offiziere. Dazu J. Ducoli:

„Armeegeneral A. I. Antonow, Kommandeur des transkaukasischen Militärdistrikts, ein angeblicher Freund Schukows, … handelte ohne zu zögern, nachdem die Nachricht von Berijas Verhaftung aus Moskau bekanntgegeben worden war. Er nahm an einer gemeinsamen Sitzung des Georgischen Zentralkomitees und des Parteikomitees von Tiflis zusammen mit dem Offizierskollegen Generalmajor P. J. Jefimow teil. Letzterer … wurde ins Büro des ZK gewählt. Andere Armeeoffiziere übernahmen anschließend wichtige Posten im Regierungs- und Parteiapparat.“

(J. Ducoli, ebd., S. 58).

In Anbetracht der neuen Situation versuchten Walerian Bakradse und einige andere georgische Parteiführer ihre Posten dadurch zu retten, dass sie auf den revisionistischen Zug aufsprangen. ‚Saria Wostoka‘ berichtete am 15. Juli 1953 über eine Rede von Bakradse auf der oben erwähnten Sitzung, in der er

„ … jetzt natürlich Berija verurteilte.“

(R. Conquest 1961, S. 146).

Dazu die ‘New York Times’:

„Nachdem Mr. Berija im letzten Juli entmachtet worden war, schien es, dass die Herrn Bakradse und Mirtskhulawa versucht hatten, sich von Berija … zu distanzieren. Beide griffen Berija sowohl auf den Sitzungen in der georgischen Hauptstadt als auch auf einer Sitzung des Obersten Sowjet der Sowjetunion im letzten August heftig an.“

(‚New York Times‘, 23. September 1953, S. 16).

Am 15. Juli bezog sich Radio Tiflis auf Mgeladse, Rapawa, Rukhadse und Schonija als

„ … Komplizen Berijas.“

(R. Conquest 1961, S. 146).

„Mr. Bakradse … brachte Berijas Namen mit denen von Rukhadse, Mgeladse und Tscharkwiani als ‚Parteiverräter‘ in Verbindung.“

(Keesing’s Contemporary Archives, Band 9, S. 13.030).

Auf der Sitzung des georgischen Zentralkomitees am 14. Juli wurde der georgische Minister für Innere Angelegenheiten, der Marxist-Leninist Wladimir Dekanosow, aus seinem Amt entfernt und aus der Partei ausgeschlossen:

„Zuerst wurden die Polizisten bzw. die einstigen Polizisten und Anhänger Berijas im Schnellverfahren entlassen.“

(R. Conquest 1961, S. 146).

„Am 15. Juli …, nach Bekanntgabe der Verhaftung Berijas, hieß es in einer Rundfunksendung aus Tiflis, dass W. G. Dekanosow aus der georgischen Regierung und der Kommunistischen Partei wegen Kollaboration mit dem ‚Verräter Berija‘ ausgeschlossen worden sei.“

(Keesing’s Contemporary Archives, Band 9, S. 13.029f).

So auch Robert Conquest:

“Der wichtigste Beschluss, der gefasst wurde (auf der Sitzung des Zentralkomitees – Verf.), war der über den Ausschluss von Dekanosow … aus der Partei.“

(R. Conquest 1961, ebd.).

Die ‚New York Times‘, die über diese Ereignisse berichtete, sagte voraus, dass

„ … Tausende von georgischen Kommunisten als Anhänger von Berija vor der Verhaftung stehen.“

(‚New York Times‘, 16. Juli 1953, S. 8).

Nachfolger des einstigen Stalin-Vertrauten Dekanosow wurde Aleksej Inauri, ein weiterer revisionistischer Armeeoffizier. Er übernahm das Amt des georgischen Ministers für Innere Angelegenheiten:

„A. I. Inauri ist zum georgischen Minister für Innere Angelegenheiten und Nachfolger von Wladimir Dekanosow ernannt worden … Mr. Inauri erhält zum ersten Mal ein hohes Amt in Georgien.“

(‚New York Times‘, 3. August 1953, S. 6).

Der Versuch von Bakradse und anderer, ihre Posten durch den Übertritt ins Lager der Verschwörer zu retten, schlug jedoch fehl. Am 20. September 1953 entließ das Plenum des ZK der Georgischen Kommunistischen Partei, das von dem Sekretär des ZK der KPdSU Nikolai Schatalin aus Moskau geleitet wurde, Bakradse als georgischen Ministerpräsidenten und Mirtskulawa als Ersten Sekretär des ZK der Georgischen KP:

„Ministerpräsident Walerian Bakradse, der seit April an der Spitze der Regierung gestanden hatte, wurde mit Schimpf und Schande entlassen, und G. D. Dschawakhischwili … trat an seine Stelle.“

(‚New York Times‘, 23. September 1953, S. 1).

Auch wurde ein neuer Erster Sekretär in Gestalt eines weiteren Armeeoffiziers namens Wassili Mschawanadse gewählt:

„Der Posten des Ersten Sekretärs der Georgischen Kommunistischen Partei wurde durch die Wahl eines neuen Mannes, Mr. Wassili P. Mschawanadse, ein ehemaliger Generalleutnant der Roten Armee, gefüllt.“

(D. M. Lang, ebd., S. 264).

Ducoli weist auf das Gewicht der Militärs in der neuen georgischen Führung hin:

„Drei Vertreter der Armee befanden sich im Büro (des ZK der Georgischen KP - Verf.): der erste Sekretär Mschawanadse, der Leiter des MWD, Inauri, sowie der Kommandeur des Transkaukasischen Militärdistrikts Antonow.“

(J. Ducoli, ebd., S. 59).

Am 25. September 1953 - fünf Tage nach der Entlassung von Bakradse - wurde bekanntgegeben, dass

„ … drei weitere georgische Minister entlassen worden waren: M. Baramija, Minister für Landwirtschaft und Versorgung, M.Tschaureli, Minister für Kultur und M. Tsukulidse, Minister für Erziehung. M. Baramija war bereits im April 1952 als Zweiter Sekretär der Georgischen KP entlassen worden, nachdem man ihn des ‚bürgerlichen Nationalismus‘ und der ‚ideologischen Abweichung‘ bezichtigt hatte, war aber ein Jahr später mit Berijas Unterstützung wieder in die Regierung aufgenommen worden.“

(Keesing’s Contemporary Archives, Band 9, S. 13.468).

Im Monat darauf, also im Oktober 1953, wurde ein neuer georgischer Ministerpräsident gewählt: der Ingenieur und Geologe Giwi Djawakhischwili:

„Am 29. Oktober 1953 wurde der 41-jährige Ingenieur und Geologe Mr. Giwi D. Djawakhischwili zum Ministerpräsidenten der Georgischen Republik gewählt.“

(D. M. Lang, ebd.).

… und am 17. Januar 1954 hieß es in einer Sendung aus Tiflis, dass

„ … M. Wilian Sodelawa von seinem Posten als Erster Stellvertretender Ministerpräsident der georgischen Sowjetrepublik entfernt worden ist.“

(Keesing’s Contemporary Archives, Band 9, ebd.).

Dazu Robert Conquest:

“Von den von Berija ernannten Leuten (Marxisten-Leninisten - Verf.) wurde niemand wieder eingesetzt.“

(R. Conquest 1961, S. 147).

Die Mingrelische Affäre, 1953

Nach revisionistischer Sowjetmythologie wurden die Ereignisse in Georgien vom April 1953 unter dem Namen ‚Mingrelische Affäre‘ bekannt. Mingrelien ist der Teil Georgiens, der am Schwarzen Meer liegt, und der Name kommt wahrscheinlich daher, dass die wichtigsten Leute, die in diese Affäre verwickelt waren, aus Mingrelien stammten. Dazu Robert Conquest:

„Es scheint gesichert, dass der Name ‚Mingrelische Verschwörung‘ sich nicht auf dieses kleine Gebiet bezieht, sondern auf eine Gruppe von einflussreichen Personen aus dem georgischen Mingrelien. … Baramija, Rapawa, Schonija und Sodelawa … waren Mingrelier - auch Berija selbst.“

(R. Conquest 1961, S. 140).

Als Nikita Chruschtschow die ‚Mingrelische Affäre‘ vom April 1953 vor dem 20. Parteitag der KPdSU im Februar 1956 als einen Fall von ‚Justizwillkür‘ bezeichnete, verwechselte er sie zweifellos in voller Absicht mit dem Scheinmanöver von 1951/52, das von ihm und seinen Komplizen selbst inszeniert, aber später von Marxisten-Leninisten korrigiert wurde. Er führte aus, dass die Affäre von 1951/52 durch falsche Anschuldigungen von ‚Nationalismus‘, die gegen Parteiführer erhoben worden waren, ausgelöst wurde und wiederholte die falsche Behauptung, dass diese Anschuldigungen von Stalin ausgingen:

„Aufschlussreich … ist der Fall der mingrelischen nationalistischen Organisation, die vermutlich in Georgien existierte. Wie bekannt ist, wurden Resolutionen, die sich mit dem Fall beschäftigten, im November 1951 und im März 1952 vom Zentralkomitee der Kommunistischen Partei der Sowjetunion verabschiedet … Stalin hatte sie persönlich angeordnet. In ihnen wurden ernste Beschuldigungen gegen viele loyale Kommunisten erhoben. Durch gefälschte Dokumente sollte bewiesen werden, dass in Georgien angeblich eine nationalistische Organisation existierte, deren Ziel die Beseitigung der Sowjetmacht in jener Republik mit Hilfe imperialistischer Mächte gewesen sei. In diesem Zusammenhang wurden eine Reihe führende Partei- und Sowjetarbeiter in Georgien verhaftet. Wie später bewiesen wurde, waren dies gegen die georgische Parteiorganisation gerichtete Verleumdungen. Uns ist bekannt, dass es zeitweilig Kundgebungen von bürgerlichem Nationalismus auf örtlicher Ebene in Georgien wie auch in anderen Republiken gegeben hat … Als er aufzuleben begann, gab es keine nationalistische Organisation in Georgien. Tausende unschuldiger Menschen wurden Opfer von Willkür und Gesetzlosigkeit. All dies trug sich zu unter der ‚genialen‘ Führung von Stalin, dem ‚großen‘ Sohn der georgischen Nation, wie sich einige Georgier gerne auf Stalin bezogen.“

(N. S. Chruschtschow 1961, S. 60ff).

Der ‚Prozess‘ gegen Berija, 1953

Der ‚Prozess‘ gegen Lawrenti Berija und sechs weitere marxistisch-leninistische Genossen, die für die Sicherheitskräfte gearbeitet hatten, fand beim Obersten Gericht der UdSSR vom 18.-23. Dezember 1953 statt. Zu denen, die zusammen mit Berija vor Gericht gestellt worden seien, gehörten eine Reihe von Vertrauten Stalins, darunter der ehemalige sowjetische Botschafter in Berlin und spätere stellvertretende sowjetische Verteidigungsminister Wladimir Dekanosow, aber auch Bogan Kobulow, ehemaliger stellvertretender georgischer Kommissar für Innere Angelegenheiten, Sergej Golidse, einst georgischer Volkskommissar für Inneres und Funktionär im Ministerium für Innere Angelegenheiten der UdSSR, Wsewolod Merkulow, der ehemalige Minister für Staatssicherheit der UdSSR, Pawel Meschik, ehemaliger Funktionär im Ministerium für Innere Angelegenheiten der UdSSR und späterer ukrainischer Minister für Inneres sowie Lew Wlodsimirski, ehemaliger Abteilungsleiter im Ministerium für Innere Angelegenheiten der UdSSR im Zuständigkeitsbereich für die Untersuchung besonders wichtiger Fälle.

Der Vorsitzende Richter in diesem ‚Prozess‘ war Marschall Iwan Konjew, zu dessen Ernennung die ‚New York Times‘ kommentierte:

„Marschall Iwan Konjews Funktion als Vorsitzender des Tribunals … scheint bis jetzt der deutlichste Hinweis darauf zu sein, dass die höchsten sowjetischen Militärführer jetzt eine viel größere Macht besitzen als früher.“

(‚New York Times‘, 24. Dezember 1953, S. 1).

Ein Jahr später noch merkte sie an, dass

„Drei der vier obersten Richter, die Berija den Prozess machten und ihn verurteilten, Leute aus der Armee waren.“

(‚New York Times‘, 25. Dezember 1954, S. 3).

Darüber hinaus wurde von den revisionistischen Verschwörern eigens zu diesem Zweck ein neuer Generalstaatsanwalt ernannt: der ukrainische Jurist Roman Rudenko:

„Wir hatten … zum Generalstaatsanwalt … kein Vertrauen. Wir entließen ihn also und ersetzten ihn durch den Genossen Rudenko.“

(N. S. Chruschtschow 1971, S. 339).

Berija sollte ‚Verrat‘ geübt haben, und zwar dadurch, dass er

„ … 1919 bereit war, als Geheimagent für den Nachrichtendienst der konterrevolutionären Mussawat-Regierung von Aserbaidschan zu arbeiten, der unter der Kontrolle der britischen Sicherheitsorgane stand.“

(‚Prawda‘, 24. Dezember 1953, in: R.Conquest 1961, S. 445).

Allen Angeklagten wurde vorgeworfen,

„ … indem sie ihr hohes Amt in den Organen des NKWD, des MGB oder des MWD missbrauchten, eine ganze Reihe der schlimmsten Verbrechen verübt zu haben, um unbescholtene Funktionäre zu liquidieren, wobei sie ihr Vaterland im Interesse des ausländischen Kapitals … verrieten, um die Macht zu ergreifen, … mit dem Ziel, den Kapitalismus und die Vorherrschaft der Bourgeoisie wiederherzustellen und dabei auf kriminelle Weise Machenschaften gegen … Sergo Ordschonikidse organisierten.“

(Ebd., S. 442ff).

Es wurde behauptet, dass alle Angeklagten ‚ihre Schuld einstanden‘, vgl. ebd. S. 446. Wir kennen jedoch nur die Worte der Verschwörer dazu, weil die Öffentlichkeit zum Prozess nicht zugelassen war (vgl. ‚New York Times‘, 24. Dezember 1953, S. 1).

Sie wurden für schuldig befunden und zum Tode durch Erschießen verurteilt. Das Urteil wurde am 23.Dezember 1953 vollstreckt.

B. Nikolajewski weist jedoch darauf hin, dass Berija kein Geständnis ablegte:

„Ihm wurde hinter verschlossenen Türen der Prozess gemacht, ohne dass er … ein Geständnis ablegte.“

(B. Nikolajewski, ebd., S. 120).

Der albanische Parteiführer Enver Hoxha schreibt, dass ihm ein sowjetischer Militärberater für Albanien, der selbst als Zeuge an Berijas ‚Prozess‘ teilgenommen hatte, berichtet habe, dass Berija weit davon entfernt gewesen sei, ein Geständnis abzulegen, sich energisch verteidigt und alle Anklagepunkte zurückgewiesen habe:

„Als ein sowjetischer Militärberater, dessen Name wohl Sergatskow war, nach Tirana kam, erzählte er uns auch etwas über Berijas Prozess. Er sagte, er sei als Zeuge geladen worden, um auszusagen, dass Berija sich ihm gegenüber angeblich arrogant verhalten habe. Bei dieser Gelegenheit sagte uns Sergatskow ganz im Vertrauen: ‚Berija verteidigte sich sehr energisch vor Gericht, akzeptierte keine der Beschuldigungen und wies sie alle zurück.“

(Enver Hoxha 1984, S. 33, deutsche Ausgabe).

Eine Reihe westlicher Beobachter gab zu, dass die gegen Berija und seine mitangeklagten Genossen erhobenen Vorwürfe ein bloßer Vorwand für den an ihnen verübten Justizmord waren. Selbst Stalins Tochter Swetlana, die Berija nicht mochte und geneigt war, jede Geschichte zu glauben, die ihm abträglich war, bezeugte, dass

„ … Berijas Prozess inszeniert war … und dass es keine Beweise gab.“

(S. Allilujewa 1969, S. 375).

Was die Anschuldigung betrifft, dass Berija ein ‚ausländischer Agent‘ gewesen sein soll, so weist Nikolajewski darauf hin, dass

„ … auch nicht der kleinste Beweis dafür vorgelegt wurde.“

(B. Nikolajewski, ebd., S. 145).

Auch Lang bezeichnet den Vorwurf, dass Berija und seine Genossen versucht hätten, ‚den Kapitalismus zu restaurieren‘ als lächerlich:

„Diese Personen und andere, die mit ihnen zum Tode verurteilt wurden, waren beschuldigt worden, sich mit Berija zusammen verschworen zu haben, um die Regierung der sowjetischen Arbeiter und Bauern zu liquidieren, mit dem Ziel, den Kapitalismus und die Macht der Bourgeoisie wiederherzustellen … Diese Vorwürfe können kaum ernst genommen werden.“

(D. M. Lang, ebd., S. 264).

Der Prozess gegen Abakumow, 1954

Vom 14.- 17. Dezember 1954 wurde Stalins ehemaliger Minister für Staatssicherheit Viktor Abakumow in Leningrad vor das Militärgericht des Obersten Gerichtshofes der UdSSR gestellt. Den Vorsitz führte Oberstleutnant J. L. Seidlin. Zusammen mit ihm wurden fünf weiteren hohen Funktionären der Prozess gemacht: A. G. Leonow, ehemaliger Direktor der Untersuchungsabteilung des MGB für besonders wichtige Fälle; W. I. Komarow und M. T. Likhatschew, ehemalige stellvertretende Vorsitzende der Untersuchungsabteilung für besonders wichtige Fälle; I. A. Tschernow und I. M. Browerman, ehemalige Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit.

Den Angeklagten wurde vorgeworfen,

„ … dieselben Verbrechen wie Berija begangen zu haben.“

(‚Prawda‘ und ‚Iswestija‘, 24. Dezember 1954, S. 2, in: ‚Aktueller Überblick über die sowjetische Presse‘, Band 6, Nr. 49, 19. Januar 1955, S. 12).

Darüber hinaus wurde Abakumow beschuldigt,

„ … die sog. Leningrader Affäre fabriziert zu haben, in dem viele Partei- und Sowjetfunktionäre unter der falschen Anschuldigung, schwere Verbrechen gegen den Staat begangen zu haben, grundlos verhaftet worden waren.“

(‚Prawda‘ und ‚Iswestija‘, in: ebd. S. 12).

Alle Angeklagten wurden schuldig gesprochen. Tschernow erhielt 15 Jahre Arbeitslager, Browerman 25 Jahre, während Abakumow, Leonow, Komarow und Likatschew zum Tode durch Erschießen verurteilt wurden.

Der Prozess gegen Rjumin, 1954

Wie erwähnt, war es Semjon Ignatjew, der als Minister für Staatssicherheit offiziell für die Führung der Untersuchungen zum Ärztefall verantwortlich war, während Michail Rjumin nur sein Stellvertreter war.

Ignatjew gehörte zu den Chruschtschow-Verschwörern und beteiligte sich deshalb nur sehr widerstrebend an den Untersuchungen, während Rjumin sie sehr intensiv führte. Es nimmt deshalb nicht Wunder, dass die siegreichen Verschwörer sie unterschiedlich behandelten.

Rjumin wurde am 5. April 1953 verhaftet - zwei Tage, nachdem die Ärzte entlastet worden waren (vgl. ‚Prawda‘, 6. April 1953, S. 1). Dazu Georges Bortoli:

„Es war zweckmäßig, ihm und nicht dem ehemaligen Minister Ignatjew den größten Teil der Verantwortung für die Affäre zuzuschieben. Ignatjew hielt zu Chruschtschow, und dieser verteidigte ihn vehement.“

(G. Bortoli, ebd., S. 186f).

Dennoch dauerte es bis Juli 1954 - 15 Monate nach seiner Verhaftung - bis Rjumin der Prozess gemacht wurde. Dies hatte Gründe:

„Die Tatsache, dass Rjumin erst 15 Monate nach seiner Verhaftung seinen Prozess bekam, zeigt, dass es Leute gab, die sich für ihn einsetzten - noch dazu sehr einflussreiche … Ein regelrechter Kampf wurde über den Fall Rjumin auf dem Juni-Plenum (1954 - Verf.) ausgetragen und dort war es auch, wo seine Hinrichtung beschlossen wurde.“

(B. Nikolajewski, ebd., S. 154f, 156).

Rjumins Prozess dauerte sechs Tage – vom 2. bis zum 7. Juli 1954:

„Vom 2.-7. Juli beschäftigte sich das Militärkollegium des Obersten Gerichts der UdSSR mit dem Fall von M. D. Rjumin.“

(‚Prawda‘, 23. Juli 1954, in: R. Conquest 1961, S. 447).

Aus dem Verhandlungsprotokoll wird deutlich, dass man ihn beschuldigte, den Ärztefall ‚fabriziert‘ zu haben. Die ‚Prawda‘ weiter:

„In der Zeit, als er den Posten eines Hauptuntersuchungsführers innehatte und später als Leiter der Abteilung für die Untersuchung besonders wichtiger Fälle beim ehemaligen Ministerium für Staatssicherheit … machte sich Rjumin daran, Ermittlungsunterlagen zu fälschen, auf deren Grundlage auf provokatorische Weise Fälle konstruiert und ungerechtfertigte Verhaftungen unter einer Reihe von Sowjetbürgern und auch unter einigen prominenten Ärzten durchgeführt wurden.“

(Ebd.).

Seltsamerweise wurde dies als

„ …ein Verbrechen eingestuft, das unter den Artikel 58, Abs. 7 des Strafgesetzbuches der RSFSR fällt.“

(Ebd.).

Der Artikel 58 (Abs. 7) des Strafgesetzbuches der RSFSR bezieht sich jedoch auf Wirtschaftssabotage! Auch B. Nikolajewski fiel dies auf:

„Der Artikel 58, Abs. 7 ist … nicht auf die Handlungen Rjumins im Zusammenhang mit der Verhaftung der Ärzte anwendbar … Er kann unmöglich auf Rjumins Rolle bei der Untersuchung der Ärzteverschwörung Anwendung finden.“

(B. Nikolajewski, ebd., S. 149).

Nikolajewski weist erläuternd darauf hin, dass die Fälschung von Beweismaterial nach dem Strafgesetzbuch nur mit bis zu fünf Jahren Freiheitsentzug geahndet werden kann, während auf Wirtschaftssabotage die Todesstrafe steht (ebd.).

Rjumin aber sollte sie erhalten. Die ‚Prawda‘ dazu:

„Das Gericht gab Rjumin die Höchststrafe, Tod durch Erschießen. Das Urteil ist vollstreckt worden.“

(‚Prawda‘, 23. Juli 1954, in: R. Conquest 1961, S. 448).

Adam Ulam fasst diese Ereignisse so zusammen:

„Nach einem Geheimprozess im Juli 1954 wurde Rjumin erschossen.“

Ulam, A. B., ebd., S. 736).

Das Schicksal von Ignatjew, Rjumins Vorgesetzter, war jedoch von einer ganz anderen Art. Man warf ihm nur, so die ‚Prawda‘

„ …politische Blindheit und Fahrlässigkeit vor.“

(‚Prawda‘, 6. April 1953, in: Y. Rapoport, ebd., S. 189f).

Die Folge: Er wurde

„ … nur degradiert.“

(R. Conquest 1961, S. 208).

Während sein Untergebener Rjumin erschossen wurde, wurde Ignatjew, der die Protektion Chruschtschows genoss, vorübergehend

„ … von seinen Funktionen als Sekretär des ZK der KPdSU entbunden.“

(‚Prawda‘ und ‚Iswestija‘, 7. April 1953, in: ebd., Band 5, Nr. 11, 25.April 1953, S. 4).

Robert Conquest bestätigt, dass Ignatjew von Chruschtschow gedeckt wurde:

„Er stand unter dem Schutz von Chruschtschow.“

(R. Conquest 1961, S. 181).

So kam es, dass Ignatjews Schmach nicht lange andauerte. Schon ein paar Monate später, im Februar 1954, wurde er wieder befördert, und zwar

„… zum Ersten Parteisekretär in der baschkirischen ASSR.“

(S. Wolin & R. M. Slusser, ebd, S. 56).

B. Nikolajewski bestätigt dies:

„Chruschtschow … gab Ignatjew Protektion und vermachte ihm einen wichtigen Posten im Parteiapparat, wenn es auch nur einer in der Provinz war.“

(B. Nikolajewski, ebd., S. 128).

L. Pistrak kommentiert die Beförderung Ignatjews so:

„Ignatjew wurde zum Ersten Sekretär der Autonomen Baschkirischen Republik ernannt. So kam unter dem Chruschtschow-Regime eine weitere muslimische Republik unter die Herrschaft eines Großrussen, dessen politische Karriere nicht unbedingt Zeugnis für seine Sympathien für andere Nationalitäten und Rassen ablegte.“

(L. Pistrak, ebd., S. 187).

Die ‚Rehabilitierung‘ von Anna Louise Strong, 1955

Am 14. Februar 1949

„ … wurde die bekannte Geheimagentin, die amerikanische Journalistin Anna Louise Strong, … verhaftet … Ms. Strong wird Spionage und subversive Tätigkeit gegen die Sowjetunion vorgeworfen. Es wird berichtet, dass sie in wenigen Tagen deportiert werden könnte.“

(‚New York Times‘, 15. Februar 1949, S. 1).

Als die sowjetischen Revisionisten 1955 beschlossen, eine Annäherung an die USA einzuleiten, mussten Berija und Abakumow als Sündenböcke für Strongs Deportation im Jahre 1949 herhalten, da sie angeblich Beweismaterial ‚fabriziert‘ hätten.

Am 4. März 1955 jedoch wurde Anna Louise …

„in aller Form … von den Vorwürfen, sie habe in der Sowjetunion Spionage betrieben, freigesprochen … Lawrenti Berija und Viktor Abakumow wurden für die ungerechtfertigte Verhaftung von Miss Strong verantwortlich gemacht.“

(‚New York Times‘, 5. März 1955, S. 1).

Die ‚Rehabilitierung‘ Titos, 1955

Auf der gleichen Linie lag, dass nach der Machtübernahme durch die sowjetischen Revisionisten unter Führung von Nikita Chruschtschow beschlossen wurde, die Verurteilung des jugoslawischen Revisionismus durch das Kominform-Büro aus den Jahren 1948/49 wieder rückgängig zu machen. Im Mai 1955 besuchte Nikita Chruschtschow Belgrad. Dazu die ‚New York Times‘:

„Nicht nur entschuldigte er sich für die ‚Erschwernisse‘ aus der Vergangenheit. Er machte dafür die ‚Fabrikationen‘ von Lawrenti Berija und Viktor Abakumow verantwortlich.“

(‚New York Times‘, 27. Mai 1955, S. 1).

Der Rapawa-Rukhadse-Prozess, 1955

Im September 1955 führte das Militärkollegium des Obersten Sowjet der UdSSR in Tiflis unter dem Vorsitz von Generalleutnant Tschertkew den Prozess gegen den ehemaligen georgischen Volkskommissar für Innere Angelegenheiten, Awksenti Rapawa, gegen den einstigen georgischen Volkskommissar für Innere Angelegenheiten, Nikolai Rukhadse sowie gegen sechs weitere Angeklagte, die früher für die georgischen Sicherheitskräfte gearbeitet hatten. Ihnen wurde

„ … Landesverrat, Terrorismus und die Beteiligung an konterrevolutionären Organisationen vorgeworfen.“

(Radio Tiflis, 22. November 1955, in: R. Conquest 1961, S. 450).

Neben dem Verbrechen, ‚Komplizen von Berija‘ gewesen zu sein, warf man den Angeklagten vor, sich aktiv an den

„ … Intrigen beteiligt zu haben, die Berija über mehrere Jahre hinweg gegen Sergo Ordschonikidse, den prominenten Staatsmann, gesponnen hatte.“

(Ebd.).

Mehr noch: Man warf ihnen außerdem vor,

„ … terroristische Anschläge gegen Mamia Orakhelaschwili, den ehemaligen Sekretär des Regionalen Transkaukasischen Parteikomitees und seine Frau Mariam Orakhelaschwili, die einstige Volkskommissarin für Erziehung der Georgischen SSR“

verübt zu haben. (Ebd.).

Dazu Robert Conquest:

„Im Rapawa-Rukhadse-Prozess vom September 1955 fiel erneut der Name von Sergo Ordschonikidse. Außerdem wurde eine Reihe von Georgiern, darunter Orakhelaschwili, rehabilitiert, die nach dem Jenukidse-Karakhan-Prozess vom 16. Dezember 1937 zum Tode verurteilt worden waren.“

(R. Conquest 1961, S. 274).

Einer der Angeklagten wurde zu zehn Jahren Haft, ein weiterer zu 25 Jahren verurteilt und der Rest – einschließlich Rapawa und Rukhadse - zum Tode durch Erschießen.

Der Prozess gegen Bagirow, 1956

Im Juli 1953, nach der ‚Verhaftung‘ von Berija, wurde der Marxist-Leninist Mir Bagirow, Sekretär des ZK der Kommunistischen Partei Aserbaidschans, seines Amtes enthoben und kurz darauf verhaftet.

Zwischen dem 12. und dem 26. April 1956 wurden Bagirow und fünf weiteren angeblichen ‚Komplizen‘ vor dem Militär-Kollegium des Obersten Gerichts, das in Baku tagte und von Generalleutnant A. A. Tscheptsow geleitet wurde, der Prozess gemacht. Die Anklage lautete auf

„ … Landesverrat, Beauftragung terroristischer Anschläge sowie Mitarbeit in einer konterrevolutionären Organisation.“

(‚Bakinski Rabotschi‘, 27. Mai 1956, S. 2, in: ‚Aktueller Überblick über die sowjetische Presse‘, Band 8, Nr. 21, 4. Juli 1956, S. 12).

Unter anderem warf man Bagirow und den anderen Angeklagten vor,

„ … sich an Berijas Intrigen und denen seiner Komplizen gegen Sergo Ordschonikse beteiligt zu haben.“

(Ebd.).

Alle Angeklagten wurden für schuldig befunden. Zwei davon wurden zu 25 Jahren Haft verurteilt, während die anderen drei, einschließlich Bagirow, die Todesstrafe erhielten.

Der Bagirow-Prozess war der letzte Prozess in einer Reihe von Justizmorden an hohen marxistisch-leninistischen Funktionären der Sicherheitskräfte.

Ende Teil zwei

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Zeitschriften/Zeitungen:

Aktueller Überblick über die sowjetische Presse

Bakinski Rabotschi

Iswestija

Keesings Archiv der Gegenwart (Keesing’s Contemporary Archives)

Kurzes englisches Wörterbuch, Oxford

New York Times

Prawda

Sarja Wostoka